Versorgungsausgleich nach deutschem Recht trotz internationaler Scheidung

Kein Versorgungsausgleich bei ausländischer Scheidung? Erfahren Sie, wann deutsche Gerichte den Versorgungsausgleich nachträglich durchführen – Voraussetzungen, Zuständigkeit, Ablauf & FAQs.

1. Einleitung: Warum der Versorgungsausgleich bei internationalen Scheidungen häufig fehlt

Viele Ehegatten gehen nach einer Scheidung davon aus, dass sämtliche vermögensrechtlichen Folgen endgültig geregelt sind. Das gilt jedoch nicht immer, insbesondere bei Scheidungen mit Auslandsbezug.

Ein besonders häufiger und folgenreicher Irrtum betrifft den Versorgungsausgleich:

❌ „In meinem Scheidungsurteil steht nichts zum Versorgungsausgleich – also gibt es keinen.“

Gerade bei Scheidungen nach ausländischem Recht ist dies der Regelfall. In vielen Staaten existiert kein mit dem deutschen Versorgungsausgleich vergleichbares Rechtsinstitut. Die Folge:

  • keine Teilung von Rentenanwartschaften

  • kein Ausgleich für Jahre gemeinsamer Altersvorsorge

  • oft erhebliche wirtschaftliche Nachteile, insbesondere für wirtschaftlich schwächere Ehegatten

Was viele Betroffene nicht wissen:

👉 Der Versorgungsausgleich kann unter bestimmten Voraussetzungen nachträglich vor einem deutschen Familiengericht durchgeführt werden.

2. Der Versorgungsausgleich im deutschen Recht – Grundprinzip

Der Versorgungsausgleich dient dem Ausgleich der während der Ehezeit erworbenen Alters- und Invaliditätsversorgungen.

Ziel des Versorgungsausgleichs:

  • Halbteilung der ehezeitlich erworbenen Rentenanwartschaften

  • Sicherung der Altersversorgung beider Ehegatten

  • Verwirklichung ehelicher Solidarität über die Scheidung hinaus

Besonderheit des deutschen Rechts:

In reinen Inlandsscheidungen wird der Versorgungsausgleich:

  • von Amts wegen durchgeführt

  • zwingend im Scheidungsverbund entschieden

➡ Ein Verzicht ist nur in engen Ausnahmefällen möglich.

3. Internationale Scheidung: Drei rechtliche Vorfragen

Bei Scheidungen mit Auslandsbezug sind drei Fragen strikt voneinander zu trennen:

  1. Welches Gericht ist international zuständig?
  2. Welches materielle Scheidungsrecht ist anzuwenden?

  3. Welches Recht gilt für den Versorgungsausgleich?

Diese Trennung ist entscheidend – denn jede Folgesache unterliegt eigenen Kollisionsregeln.

4. Warum der Versorgungsausgleich bei ausländischem Scheidungsrecht entfällt

4.1 Art. 17 Abs. 4 Satz 1 EGBGB – Grundsatz

Nach Art. 17 Abs. 4 Satz 1 EGBGB gilt:

Der Versorgungsausgleich unterliegt dem auf die Scheidung anzuwendenden Recht.

Wird die Ehe also nach italienischem, vietnamesischem oder anderem ausländischen Recht geschieden, das keinen Versorgungsausgleich kennt, dann:

findet im Scheidungsverfahren kein Versorgungsausgleich statt

Das gilt selbst dann, wenn:

  • deutsche Rentenanwartschaften bestehen

  • das Scheidungsgericht ein deutsches Gericht ist

  • beide Ehegatten in Deutschland leben

4.2 Typische Konstellationen

Besonders häufig betroffen sind:

  • binational geschlossene Ehen

  • Ehegatten mit ausländischer Staatsangehörigkeit

  • Scheidungen nach:

    • italienischem Recht

    • vietnamesischem Recht

    • arabischen Rechtsordnungen

    • Drittstaaten ohne Versorgungsausgleich

5. Die entscheidende Ausnahme: Nachträglicher Versorgungsausgleich nach Art. 17 Abs. 4 Satz 2 EGBGB

5.1 Der gesetzliche Rettungsmechanismus

Art. 17 Abs. 4 Satz 2 EGBGB eröffnet eine nachträgliche Korrekturmöglichkeit:

➡ Der Versorgungsausgleich kann auf Antrag nach deutschem Recht durchgeführt werden, wenn:

  1. mindestens ein Ehegatte während der Ehezeit ein Anrecht bei einem inländischen Versorgungsträger erworben hat, und

  2. die Durchführung des Versorgungsausgleichs der Billigkeit nicht widerspricht.

5.2 Zentrale Konsequenz

  • Kein Automatismus

  • Kein Amtsverfahren

  • Ohne Antrag kein Ausgleich

Der Versorgungsausgleich lebt nicht automatisch wieder auf, sondern muss aktiv geltend gemacht werden.

6. Der isolierte Versorgungsausgleich – rechtliche Einordnung

Man spricht in diesen Fällen vom:

isolierten Versorgungsausgleich

Merkmale:

  • getrennt vom Scheidungsverfahren

  • eigenständiges Verfahren

  • eigener Antrag

  • eigene gerichtliche Entscheidung

7. Internationale und örtliche Zuständigkeit – § 102 FamFG

7.1 Grundsatz

Für den isolierten Versorgungsausgleich bestimmt § 102 FamFG die Zuständigkeit deutscher Gerichte.

7.2 Zuständiges Gericht

  • Wohnsitz eines Ehegatten in Deutschland
    → örtlich zuständiges Familiengericht

  • Beide Ehegatten leben im Ausland
    Amtsgericht Schöneberg (Berlin)

8. Anerkennung der ausländischen Scheidung – zwingende Voraussetzung

Bevor ein deutscher Versorgungsausgleich durchgeführt werden kann, muss die ausländische Scheidung in Deutschland anerkannt sein.

8.1 EU-Scheidungen

  • automatische Anerkennung (außer Dänemark)

8.2 Drittstaaten

  • ggf. Anerkennungsverfahren nach § 107 FamFG

  • zuständig: Landesjustizverwaltung / Oberlandesgericht

➡ Ohne anerkannte Scheidung: kein deutsches Folgeverfahren

9. Welche Anrechte können im isolierten Verfahren ausgeglichen werden?

9.1 Ausgleichsfähig

Deutsche Rentenanwartschaften, insbesondere:

  • gesetzliche Rentenversicherung

  • betriebliche Altersversorgung

  • berufsständische Versorgungen

  • private Altersvorsorge (soweit ausgleichsreif)

9.2 Nicht ausgleichsfähig

Ausländische Rentenanwartschaften

Grund:

  • keine Hoheitsbefugnis deutscher Gerichte

  • § 19 Abs. 2 Nr. 4 VersAusglG

➡ Ausländische Anrechte können nicht geteilt werden.

10. Die Billigkeitsprüfung – zentrale Hürde des Verfahrens

10.1 Maßstab der Billigkeit

Der Versorgungsausgleich darf nicht zu einem grob unbilligen Ergebnis führen.

Zu berücksichtigen sind u. a.:

  • wirtschaftliche Gesamtverhältnisse

  • Dauer der Ehe

  • ausländisches Vermögen

  • ausländische Rentenanwartschaften

  • Kaufkraftunterschiede

  • güterrechtliche Regelungen

10.2 Typische Ausschlussgründe

Unbilligkeit kann vorliegen, wenn:

  • nur ein Ehegatte deutsche Anrechte abgeben müsste

  • der andere Ehegatte erhebliche ausländische Versorgung besitzt

  • eine doppelte Begünstigung droht

  • der Antrag rechtsmissbräuchlich spät gestellt wird

11. Ablauf des isolierten Versorgungsausgleichs – Schritt für Schritt

  1. Prüfung der Anerkennung der Scheidung

  2. Zuständigkeitsprüfung (§ 102 FamFG)

  3. Antragstellung

  4. Einholung von Rentenauskünften

  5. Durchführung der Billigkeitsprüfung

  6. Entscheidung über Teilung / Ausschluss / Kürzung

12. Handlungsempfehlungen für Betroffene

✅ Frühzeitige Prüfung des Scheidungsurteils

✅ Klärung deutscher Rentenanwartschaften

✅ Anerkennung der Scheidung sichern

✅ Antrag aktiv stellen

✅ Billigkeit argumentativ vorbereiten

✅ Spezialisierte anwaltliche Begleitung nutzen

FAQ – Häufige Fragen zum nachträglichen Versorgungsausgleich

❓ Gibt es eine Frist für den Antrag?

Grundsätzlich keine starre Frist, jedoch kann langes Zuwarten im Rahmen der Billigkeit relevant werden.

❓ Kann auch der Verpflichtete den Antrag stellen?

Ja. Beide Ehegatten sind antragsberechtigt.

❓ Was passiert mit ausländischen Renten?

Diese können nicht geteilt, aber im Rahmen der Billigkeit berücksichtigt werden.

❓ Ist der Versorgungsausgleich auch nach vielen Jahren noch möglich?

Ja – Einzelfallprüfung erforderlich.

❓ Kann der Versorgungsausgleich gekürzt werden?

Ja, bei teilweiser Unbilligkeit.

❓ Gilt das auch bei Online-Scheidungen?

Ja, entscheidend ist das angewandte Recht, nicht die Form der Scheidung.

13. Fazit

Eine Scheidung nach ausländischem Recht bedeutet nicht zwangsläufig den Verlust des Versorgungsausgleichs.
Art. 17 EGBGB und § 102 FamFG eröffnen einen rechtlich anspruchsvollen, aber wirksamen Weg, um deutsche Rentenanwartschaften nachträglich auszugleichen.

👉 Voraussetzung ist jedoch rechtzeitiges Handeln, saubere rechtliche Prüfung und strategische Antragstellung.

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